Eine schlaflose Nacht liegt hinter mir. Sobald ich die Lampen gelöscht und mich hingelegt hatte, fingen meine Gedanken an zu kreisen:
Was sollte jetzt werden?
Konnte das stimmen mit diesem Kind? Oder wie kam Maria auf solche Gedanken?
Und wie konnte sie so felsenfest davon überzeugt sein? Oder spielte sie mir das nur vor?
Wenn ich da bloß sicher wäre: Konnte ich ihr noch vertrauen?
Also, wenn ich irgendwem vertrauen kann, dann Gott – soviel war klar! Ich fing an zu beten:
HERR, auf dich traue ich,
lass mich nimmermehr zuschanden werden,
errette mich durch deine Gerechtigkeit!
Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! …
Bald mischten sich wieder meine Gedanken zwischen die alten Psalmworte: Gott hilft – das bedeutet der Name „Jesus“, den das Kind bekommen soll.
Tja, Hilfe könnte ich jetzt auf ganz gut gebrauchen!
Können wir einfach weiter unsere Hochzeit planen, als wäre nichts? Will ich das noch? Was für eine Rolle spielte dieser Gabriel?
Ich zog die Decke fester um mich – kalt war es geworden. Wie schön es wäre, wenn wir uns jetzt im Arm halten und wärmen könnten … Geküsst hatte sie mich! Und gesagt, dass sie mich liebte. Aber konnte ich ihr noch vertrauen – Ach Moment, das hatte ich schon mal!
Aber genau das war es ja: wieder und wieder diese Frage – die ganze Nacht lang!!!
Und dazwischen: Gott, wieso muss das ausgerechnet mir passieren? Oder auch: Muss ich mir Sorgen um Maria machen – und geht mich das überhaupt noch was an?
Ja, natürlich liebte ich sie – aber konnte ich ihr noch … Oh nein, nicht schon wieder diese Frage!
Irgendwann schien es mir, als stünde Gabriel neben mir – was hatte der denn jetzt hier zu suchen??? Na ja – da musste ich wohl doch geschlafen und geträumt haben.
Noch lange bevor nebenan bei Joel der Hahn krähte, hörte ich die ersten Vogelstimmen und stand auf. Es war noch dunkel, und noch waren durchs Fenster Sterne am Himmel zu sehen. Oder zeigte sich doch schon ein allererster Hauch von Helligkeit am Himmel??
In der Vorratskammer war kein Brot mehr. Ein paar getrocknete Feigen und Oliven stillten meinen Hunger.
Viel Wasser war auch nicht mehr im Krug; ich musste also frisches vom Brunnen holen. Und wenn ich dort zufällig Maria traf? Sollte ich darauf hoffen – oder besser doch nicht?
Sobald es hell geworden war, fütterte ich Henoch, nahm den großen Wasserkrug und ging mit ihm zum Brunnen. Zwei Frauen, die ich nicht kannte, unterhielten sich angeregt – als sie mich sahen, verstummten sie. Worüber hatten sie gesprochen? Schielten sie zu mir herüber, während ich den Eimer für Henoch und den Krug für zuhause füllte?
In der Morgensonne wurde es immer lebendiger rund um den Brunnen: Menschen und Tiere stillten ihren Durst und füllten ihre Krüge auf, wie jeden Tag. Bauern und Händler breiteten die Waren aus, die sie zu verkaufen hatten.
„Habt ihr schon gehört?“, rief plötzlich jemand: „Eine Handelskarawane aus Damaskus kommt hierher!“
Die Nachricht sorgte für Aufregung. Das meiste, was wir hier in Nazareth für den Alltag brauchen, wächst hier; oder wir stellen es selbst her. Die Gelegenheit, etwas Besonderes einzukaufen, haben wir selten; deshalb lassen wir sie uns nicht entgehen.
Ich brachte das Wasser nach Hause, sortierte das Holz von Aarons Ölbaum und stapelte es ordentlich. Darüber wurde es Mittag, und ich ging wieder zum Markt.
Hier herrschte inzwischen großer Trubel. Solche Menschenmengen hatte ich in Nazareth noch nie erlebt! Mitten drin lagerten fünf Kamele; und um sie herum waren Schätze ausgebreitet, die wir hier selten zu sehen bekamen: Duftende Gewürze, edler Wein, bunter Schmuck, Sandalen, römische Töpferwaren, die viel feiner waren als unsere, Stoffe in leuchtenden Farben, Werkzeuge aus Eisen.
Die schaute ich mir genauer an: Solide sahen sie aus, und scharf geschliffen waren sie – wie gut würde mir damit die Arbeit von der Hand gehen!
Ziemlich viel Geld gab ich aus: für eine Säge, ein Beil und ein kräftiges Schnitzmesser. Sicher würden sie mir nützlich sein!
„Ach, du bist doch Josef der Handwerker – kannst du bei mir das Dach ausbessern?“
„Wir brauchen einen neuen Tisch, am besten noch vor Pessach!“
Na wunderbar – neue Aufträge konnte ich gut gebrauchen!
„Wer soll das bloß alles kaufen?”, hörte ich Simeons Stimme neben mir.
Mein neues Werkzeug bewunderte er gebührend. „Und ich hab Wein für unsere Pessach-Feier nächste Woche besorgt!“
Ich sah, wie Susanna eine Halskette betrachtete, die zu ihren langen Ohrringen passte. Ester, die Frau von Nachbar Joel, schnupperte an den Gewürzen. Und Benjamin, der Steuereinnehmer, schaute sich die feinen Stoffe und das Geschirr an.
„Na der kann sich’s auch leisten!“, brummte Simeon ärgerlich, „bei dem Geld, was er uns abknöpft! Mit den Römern zusammenarbeiten und dann auch noch von römischem Geschirr essen – pffff!“
Ich hörte nicht mehr hin: Bei der Frau, die Sandalen verkaufte, sah ich Joachim und Anna stehen. Maria war nicht dabei. Die Verkäuferin rief noch jemanden von den Händlern zu dem Gespräch dazu. Offenbar redeten sie nicht über Schuhe …
„Schalom, Josef!“ Durch die Menge drängte sich Deborah. Lea hielt sich an ihrem Umhang fest, um im Gewimmel nicht verloren zu gehen. Deborah sah zufrieden aus und öffnete einen großen Beutel, in dem noch zwei Fladenbrote lagen.
„Schau mal, mit eurem Brennholz habe ich heute Brot gebacken; dafür hatte ich gerade noch genug Mehl im Haus. Eine ganze Menge konnte ich verkaufen – aber die letzten beiden schenke ich Maria und dir!“
„Das ist nett, danke …“
„Ach wo, ich muss euch doch danken: Dir und deiner Maria!“
Wenn ich doch bloß sicher sein könnte, dass sie immer noch meine Maria war!