Spätherbst
„Irgendwie sind gerade ganz schön viele Römer unterwegs“, erzählte Simeon, nachdem er ein paar Tage in Nain zu tun gehabt hatte. „Immer zu zweit auf Pferden! Die armen Tiere müssen sich ganz schön abmühen hier in den Bergen – die sind wahrscheinlich schöne gepflasterte Straßen gewöhnt!“
„Gestern in der Synagoge hat Habakuk so was ähnliches erzählt – er hat ja mal wieder seinen Vater in Magdala besucht. Aber was sie vorhaben, wusste er auch nicht!“
„Vermutlich werden wir es bald erfahren …“
„Ja, leider. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es was Gutes ist …“
Ein paar Tage später sammelte ich in Aarons Olivenhain die dürren Äste ein – es war kühl und grau, und wir brauchten wieder Brennholz. Mit einem großen Bündel Reisig auf Henochs Rücken kam ich zurück, da hörte ich hinter mir Hufe, Wiehern; und jemand brüllte: „Aus dem Weg!!!“
Zum Ausweichen war kaum Platz: Henoch stand gefährlich nah an einem Abhang, während die beiden Soldaten vorbei ritten – und gleich vor unserer Nase ein paar Pferdeäpfel fallen ließen! Henoch rief ihnen ein empörtes „Iiiiii-aaaaaaaah“ nach.
Als wir nach Hause kamen, sah ich Joel und Jonathan schon mit Maria zusammen stehen:
„Hast du gesehen, was der Ältere für ein grimmiges Gesicht gemacht hat?“
„Ich verstehe ja nicht, warum die immer ihre Bärte abrasieren“, fand Maria. „Finden die das wirklich schön???“
„Die Geschmäcker sind halt verschieden“, meinte Jonathan achselzuckend. „Die essen ja auch Schweinefleisch!“
„Aber die Pferde sind schon prächtige Tiere!“, überlegte Joel. „Wobei ich lieber nicht wissen will, wie viel Futter die brauchen!“
„Habt Ihr inzwischen irgendeine Ahnung, was sie hier wollen?“, fragte ich.
„Sie sind da die Straße hoch geritten“, zeigte Jonathan. „Würde mich nicht wundern, wenn sie bei Benjamin sind!“
Klar, das passte: als Steuereinnehmer hatte er schließlich öfter mit den Römern zu tun.
„Wenn wir den Pferdeäpfeln folgen, finden wir es raus“, lachte Joel. „Kommt ihr mit?“
„Ich lege mich lieber ein bisschen hin“, ächzte Maria. „Inzwischen ist das wirklich lästig mit diesem Bauch!“
„Und ich lade erstmal mein Brennholz ab. Sagt uns Bescheid, wenn ihr was wisst!“
„Die spinnen, die Römer!“, rief Joel am Nachmittag erbost. „Das machen die doch nur, um uns noch mehr Steuern abzuknöpfen!“
„Was machen sie denn nun genau?“, wollte ich wissen.
„Kaiser Augustus hat befohlen, dass sich alle Bewohner sämtlicher römischer Provinzen in Steuerlisten eintragen lassen müssen!“
„Führt Benjamin nicht sowieso schon Listen über unsere Steuern?“ Ich konnte mich jedenfalls erinnern, dass er immer genau eintrug, wie viel wer gezahlt hatte – oder vor allem: wie viel er noch zahlen musste!
„Aber die Römer wollen jetzt noch viel mehr wissen! Und das geht dann alles zum Statthalter Quirinius – die wollen die totale Kontrolle!“
„Und was heißt das für uns? Gehen diese Soldaten hier von Haus zu Haus, oder wie?“
„Nein, umgekehrt!“, schnaufte Joel: „Die lassen uns natürlich schön antanzen! In Benjamins Haus richten sie ihre Zählstelle ein – jedenfalls für die, die aus Nazareth stammen.“
„Wie: die aus Nazareth stammen?“, fragte ich verwirrt nach. „Und was ist mit den anderen?“
„Also, Josef, das wird dir jetzt nicht gefallen – und Maria auch nicht …“
„Was soll mir nicht gefallen?“ Maria kam aus dem Haus, mit dem blauen Umhang um die Schultern gegen die Kühle.
„Na jaaaa – also: sie wollen, dass sich jeder in der Stadt registrieren lässt, wo er geboren ist …!“
„Na komm – die werden doch wohl nicht verlangen, dass ich wegen dieser Steuerlisten nach Bethlehem gehe! Nicht nur, weil bald unser Kind geboren wird – ich meine, das hätte doch überhaupt keinen Sinn! Ich frage bei Benjamin nochmal nach – aber das kann ich mir nicht vorstellen!!“
Keiner besuchte Benjamin gerne – weil es immer ums Bezahlen ging!
Mit den beiden Römern, die bei ihm waren, wirkte es dort noch unangenehmer.
„Schalom Josef – was kann ich für dich tun?“ (Wenn ich seine Freundlichkeit bloß ernst nehmen könnte!)
„Schalom Benjamin. Also, wegen dieser Steuerlisten – das kann ich doch sicher hier erledigen, oder? Ich meine: ich wohne seit Jahren in Nazareth, Maria sowieso, und meine Steuern zahle ich auch an dich – also spricht doch wohl nichts dagegen!“
„Ich wusste gar nicht, dass du ein Verwaltungsexperte bist …“, antwortete er mit hochgezogenen Augenbrauen.
Verstanden die Römer etwas von unserer Unterhaltung? Einer grinste leicht.
„Kein Verwaltungsexperte, aber ein Mann mit gesundem Menschenverstand, hoffe ich doch! Und außerdem einer, der in wenigen Wochen Vater wird und gern bei Frau und Kind sein möchte!“
„Nun ja, für die meisten Außenstehenden sind Angelegenheiten der Steuerverwaltung nun mal schwer verständlich -“ Benjamin hob theatralisch die Hände – „aber so ist es nun mal; da kann ich die römischen Gesetze nicht einfach aus Rücksicht auf einen einzelnen ändern, so leid mir das tut!“
Er schielte zu einem der Römer hinüber; der nickte anerkennend.
„Und noch ein guter Rat: schieb es nicht auf die lange Bank – du willst doch bestimmt keinen Säumniszuschlag zahlen, nicht wahr, lieber Josef, Sohn Davids?“
Selten war ich so wütend – doch ich wusste: in Gegenwart der Römer musste ich mich im Zaum halten! Wortlos verließ ich Benjamins Haus.
Maria war genau so entsetzt wie ich. „Habe ich mir neulich vielleicht zu sehr gewünscht, dass sich was verändert? Also, das hätte jetzt gerne noch ein paar Monate warten können…!“
„Vielleicht gehe ich alleine, und du bleibst bei deinen Eltern?“, schlug ich vor. „Mehrere Tagesreisen – das kann dir im Moment keiner zumuten!“
„Das meinst du doch wohl nicht ernst, oder?“ Im Marias Augen funkelte es. „Wir gehören zusammen! Ich komme mit nach Bethlehem – wie auch immer ich das schaffen soll!“
Abends vor dem Schlafengehen fiel mir etwas ein: „Weißt du eigentlich, dass ein Prophet mal gesagt hat, der Messias soll aus Bethlehem kommen?“
„Stimmt – jetzt wo du es sagst!“ Im Lampenschein machte sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht breit: „Dann soll das so sein: unser Kind kommt in Bethlehem zur Welt!“