Wir begannen mit den Reisevorbereitungen. Leicht fiel es uns nicht, unser Zuhause und unsere Freude zurückzulassen – egal, was der Prophet vor langer Zeit über Bethlehem und den Messias gesagt hatte!
Joel und Esther versprachen, sich um unsere Ziegen und Hühner zu kümmern.
Anna und Joachim waren traurig – sie hätten gerne ihr Enkelkind hier in Nazareth begrüßt. Mit Tränen in den Augen überlegte Anna, wie ihre Tochter in ihrem Zustand bloß den weiten Weg schaffen sollte! Stapelweise Windeln gab sie uns mit. Außerdem hatten Anna, Deborah und Esther von nebenan reichlich Ratschläge für Maria als werdende Mutter anzubieten – und für mich auch! Normalerweise war es ja Frauensache, bei einer Geburt und danach zu helfen – aber wer weiß, wie es unterwegs so kommen würde!
Auch von ihnen bekamen wir Windeln und warme Decken. Wie sollte Henoch das nur alles tragen? Unsere Kleidung mussten wir ja auch noch mitnehmen, und Futter für ihn, am besten auch Vorräte für uns …
Und natürlich wäre es gut, wenn auch Maria ab und zu auf dem Esel sitzen könnte, um auszuruhen.
„Du willst tatsächlich dein Werkzeug mitnehmen????“, fragte sie fassungslos, als ich Schnitzmesser und Axt schliff und sorgfältig einölte, damit sie nicht rosteten. „Wozu denn das?“
„Wir werden unterwegs ja Essen und Unterkunft brauchen – ich hoffe, dass wir mit weniger Geld auskommen, wenn ich als Gegenleistung meine Arbeit anbiete …“
„Na ja“ – sie spielte mit der blauen Glasperle an ihrem Hals, „dann brauchen wir vielleicht weniger Geld, aber dafür mehr Zeit!“
„Die brauchen wir doch sowieso – oder willst du etwa sechs, acht Stunden am Tag laufen? Selbst wenn du ab und zu auf Henoch reitest, werden wir jeden Tag nur ein kleines Stück schaffen! In weniger als einer Woche werden wir ganz sicher nicht nach Bethlehem kommen, vielleicht brauchen wir noch länger!“
„Als ich im Frühling mit den Händlern unterwegs war zu Tante Elisabeth, da haben wir tatsächlich eine Woche bis Jerusalem gebraucht“, erinnerte sich Maria. „Die wollten ja auch Zeit zum Verkaufen haben. Meistens sind wir früh morgens los gezogen – und manchmal haben wir erst bei Sonnenuntergang die Zelte für die Nacht aufgeschlagen.“
„Und bis Bethlehem ist es noch ein bisschen weiter! Außerdem sind die Tage jetzt kürzer als im Frühling – und zelten will ich um diese Jahreszeit ganz sicher nicht!“
„Ich auch nicht“, lächelnd hielt sie sich den kugelrunden Bauch. „Stimmt schon: besser kurze Stücke – wenn wir nur irgendwo einen Platz finden, wo unser Kind zur Welt kommen kann!“
Ich wickelte das Werkzeug in Lederlappen ein und verschnürte es. Gerne hätte ich gesagt „Mach dir keine Sorgen!“ – aber ich machte mir ja selbst welche!
Als hätte sie meine Gedanken geahnt, sagte sie: „Ich versuche mich immer an mein Lied von Frühling zu erinnern: Gott hat mich ausgesucht, mit allen Sorgen und so – dann wird er uns jetzt auch helfen! Aber manchmal graut es mir trotzdem vor dieser Reise …!“
Ich nahm sie in die Arme. „Zu mir hat Gabriel gesagt: ‚fürchte dich nicht!‘ Anfangs wusste ich gar nicht, was das sollte – aber das müssen wir uns wohl immer wieder sagen …“
Sie nickte, strich sich die braune Locke aus der Stirn und wischte sich eine verstohlene Träne aus dem Augenwinkel. „Wann brechen wir auf?“
„Morgen abend beginnt der Sabbat. Ich bin dafür, dass es wir den noch hier verbringen, und dann geht es los – also in drei Tagen!“
Als wir am Sabbat in der Synagoge saßen, las der Rabbi aus dem Buch des Propheten Jesaja: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die im finstern Lande wohnen, scheint es hell!
In unserer trüben Stimmung an diesem trüben Tag tat uns das gut.
„Ihr brecht also auf mach Bethlehem?“, fragte Rabbi Nathan anschließend. „Gott segne und behüte euch und euer Kind auf eurem Weg!“
Sobald es am nächsten Morgen hell wurde, belud ich Henoch mit unserem Gepäck. Gut, dass er so ein geduldiges Tier ist!
Anna und Joachim, Joel und Esther, Simeon und Deborah winkten uns nach – und Lea stampfte mit dem Fuß auf und weinte: „Die sollen nicht weg gehen!!!!“
Wir waren nicht allein: Auch der Töpfer Jehu und seine Frau Rebekka brachen auf – denn Jehu war in Jericho geboren und musste zur Zählung dorthin. Zu viert unterwegs zu sein, gab uns etwas mehr Sicherheit. Jehu und Rebekka versuchten Rücksicht auf Maria zu nehmen und langsam zu gehen – aber immer wieder hatten sie Vorsprung und warteten hinter der nächsten Bergkuppe oder Kurve.
„Aaaach, sieh an – der Eli!!!!“, hörten wir irgendwann gegen Mittag vor uns – und dann sahen wir, wie Rebekka und Jehu einen Mann umarmten, der uns mit seiner Familie entgegen kam.
Auch Maria war begeistert: „Als ich klein war, hat er mit seinen Eltern um die Ecke gewohnt. Und manchmal war ich ganz stolz, wenn er als großer Junge mal mit mir gespielt hat! Dann ist er mit seinen Eltern weg gezogen – Schalom, Eli! Kommst du zur Zählung nach Nazareth???“
„Moment mal: Bist du das, Maria? Schalom! Schönen Blödsinn haben sich die Römer da ausgedacht: Mit Kind und Kegel muss ich von Hebron kommen – was soll das bloß???? Und du? Ich sehe, du hast bald auch Familie?“
„Josef, mein Mann, stammt aus Bethlehem. Dorthin sind wir zur Zählung unterwegs …“
„Ich habe gehört, manche sagen ‚Schätzung‘. Wollen die etwa an unsere Schätze ran??? Als ob wir irgendwelche hätten …“
Als wir weiter gingen, wurden unsere Mitreisenden immer unzufriedener mit dem langsamen Tempo. Wir ließen sie ziehen. Für Maria war der Weg tatsächlich sehr mühsam. Nachmittags, im Tal des Flusses Kishon, ritt sie ein Stück.
„Die Gegend erkenne ich wieder!“, erzählte sie. „Jetzt sieht das hier alles nach Gestrüpp aus – aber als ich im Frühling hier vorbei gekommen bin, blühten gerade die Rosen auf!“
Nun waren die Büsche braun und der Himmel grau. Ein paar Vögel pickten die letzten Hagebutten von den Zweigen. Vor uns her flatterte ein kleiner Sperling – und als wir ihm nach schauten, sahen wir: Da leuchtete noch eine rote Rosenblüte an dem dürren Zweig!