Das mit dem Feuermachen ließ ich dann doch lieber sein: Mit dem vielen Heu und Stroh, das hier lag, wäre es brandgefährlich geworden – und im Übrigen kam ich gar nicht dazu, denn jetzt brauchte Maria meine Hilfe. Schnell schichtete ich einen großen Haufen Stroh auf, auf dem sie sich erleichtert niederließ.
Und das Kind?
„Lieber Ochs, darf ich deine Futterkrippe ausleihen?“
Mit Heu und Stroh und den mitgebrachten Decken wurde ein Bettchen daraus.
Draußen dämmerte es. Bald würde es ganz dunkel sein. Wie sollten wir das Kind denn überhaupt sehen können, wenn es endlich geboren war???
„Was ist denn das da?“, fragte Maria, als sie zwischen allem Stöhnen und Ächzen mal kurz zu Atem kam.
Sie zeigte nach draußen.
Am Eingang der Höhle stand ein leuchtendes Öllämpchen. Wer hatte das denn dort abgestellt?
Ich schaute mich um. Ein paar Lichter in den Häusern, Mond und Sterne – sonst nichts.
„Gabriel?“, rief ich. „GAAA-BRIII-EEEEEEEL???“
Nicht den kleinsten Schimmer seines weißen Gewandes konnte ich entdecken.
„Danke dir!“, murmelte ich und holte die Lampe herein. Irgendwer würde es schon hören.
Ich hängte das kleine Licht an einen Haken, wo es die ganze Höhle leicht erhellte: Den Ochsen und Henoch, der sich neben ihm niedergelassen hatte und zufrieden Heu fraß – und Maria, die auf ihrem Lager mit schmerzverzerrtem Gesicht kämpfte, wimmerte – und irgendwann schrie. Dass es so lief, wusste ich ja von Anna und Deborah und Esther. Nun konnte ich mich kaum an all die Ratschläge erinnern, die sie uns mitgegeben hatten. Furchtbar hilflos kam ich mir gerade selbst vor. Zumindest versuchte ich, ihr ab und zu Halt zu geben – und ihr immer wieder gut zuzureden, wenn es so aussah, als hätte sie nun wirklich keine Kraft mehr.
Ich weiß nicht, wie lang es so ging – bis spät in die Nacht sicher. Dann noch ein lauter Schrei von Maria – und dazu endlich der des Kindes, das im Stroh lag!
„MUUUUUUUUUUUH!!!!!“ – „Iiiiii-aaaaaah! Iiiii-aaaaaaah!!! IIIII-AAAAAAAAH!!!!!!“
Unendlich erleichtert nahm ich das strampelnde Wesen in die Arme – und spätestens in diesem Moment wusste ich: Wie auch immer dieses Kind entstanden sein mochte – für mich war es selbstverständlich mein Sohn! Vorsichtig reichte ich ihn Maria, die ihn schützend unter ihr blaues Tuch nahm:
„Endlich bist du da, kleiner Jesus! Wir haben es geschafft, mein Schätzchen! Hast du Hunger? – Na, was ist, Josef? Soll denn das arme Kind frieren? Wir haben doch Windeln und Decken dabei!“
Während sie stillte, kramte ich in unserem Gepäck; und als Jesus satt war, wickelte sie ihn warm ein und legte ihn in die Krippe, die gleich neben ihr stand. Bald darauf sah ich beide selig schlummern.
Auch ich war überglücklich – aber schlafen konnte ich nicht. Mit einem leisen Dankgebet trat ich aus der Höhle in die stille Nacht.
Und doch: ganz still war es nicht. Was war es, das ich wahrnahm? So etwas wie sanftes Sausen am ehesten, wie ich es noch nie gehört hatte – wo es herkam, wusste ich nicht. Und ein Lichtschimmer, der sich über den Himmel bewegte – die Morgendämmerung konnte es noch nicht sein …!
Kalt war es. Ich ging wieder hinein, wo uns die Tiere etwas wärmten. Ich legte mich neben Maria, nahm sie in den Arm – und nun fielen auch mir die Augen zu.
Leise Stimmen vor dem Eingang weckten mich..
„Hier muss es sein …“ wisperte jemand.
„Hier? In Joabs Ochsenstall?? Schlechter Platz für den Heiland!“
„Ja doch, da ist Licht …“
Ich stand auf und schaute nach. Drei Hirten standen vor der Höhle. Und noch viele mehr kamen über das Feld – im Dunkeln zu sehen als winzige Lichtpunkte ihrer Öllämpchen.
„Ist hier ein Kind geboren? Wir möchten es gerne sehen!“
Das hatte sich aber schnell herumgesprochen!
„Woher wisst ihr das?“ Ich winkte sie herein und bedeutete ihnen, leise zu sein.
„Es ist schwer zu beschreiben“, flüsterte der eine mit weißem Bart, „und wahrscheinlich klingt es vollkommen verrückt. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich so was mal erlebe: Wir haben ein Licht gesehen und dieses merkwürdige leise Geräusch gehört – und dann stand plötzlich jemand neben uns – ganz weiß strahlend mitten in der Dunkelheit ….“
„Und wir sind natürlich furchtbar erschrocken! Aber er hat uns schnell gezeigt, dass wir uns nicht zu fürchten brauchen!“, sagte der mit der Knollennase.
„Na ja“, wandte der dritte ein, der einen grünen Turban trug: „er sagte zwar, wir sollten uns nicht fürchten – aber so einfach fand ich das nicht, so mit dem ganzen Drumherum!“
Ich nickte. „Das kenne ich! Ich glaube, wir sind demselben Boten begegnet. Zu mir hat er schon im Frühling gesagt: Fürchte dich nicht! Aber es hat auch lang gedauert, bis ich ihm wirklich vertrauen konnte …“
„Uns hat er doch tatsächlich gesagt: der Heiland ist geboren! Das konnten wir erst gar nicht glauben – aber der Engel sagte …“
„Moment mal: glaubst du wirklich, das war ein Engel?“, unterbrach der Turbanträger den Weißbärtigen.
„Aber sicher glaube ich das – was denn sonst? Also: der sagte, wir würden ein Kind in einer Krippe finden – irgendwo hier in Bethlehem!“
„Und hier ist es!“ Ich zeigte auf die Krippe, und sie standen mit großen Augen da.
Draußen hörten wir jetzt noch viel mehr Stimmen, die über die wunderbare Erscheinung sprachen.
„Groß“ – „Soo ein Schreck erstmal!“ – „Irgendwie ganz anders als alles, was ich kenne!“ – „hell“ – „Und diese Stimme: Als würde der ganze Himmel reden!“ – „ja, das war dann ja auch irgendwie ein riesiges Gewusel am Himmel. Klang irgendwie wie Halleluja!“ – „Für mich klang es nach Friede auf Erden!“ – „So was Wunderbares habe ich noch nie gehört!“
Männer und Frauen standen da, Alte und Junge – vielen war anzusehen, dass sie es nicht leicht im Leben hatten. Ein bisschen erinnerten sie mich an unsere Hochzeitsgäste.
„Dass ich das noch erleben darf!“, krächzte eine uralte Frau: „Gott hat uns den Retter geschickt – die schönste Nachricht meines Lebens!“
„Und ausgerechnet uns hat es der Engel gesagt – wir ganz normalen Leute sind dafür wichtig genug!“
„Ihr braucht doch bestimmt was zu essen – hier bitte: ein bisschen Brot und Milch und Käse! Für euch!“
(Wie dankbar ich dafür war …!)
Und alle schauten ganz begeistert unseren Sohn an, der friedlich schlief.
In meinem müden Kopf klangen ihre Worte wie ein vielstimmiges Lied:
„Was für ein wunderhübsches Kind!“ – „Stimmt, regelrecht zum Niederknien!“ – „Endlich wieder ein Lichtblick im Leben, Gott sei Dank!!!“ – „Das hätte ich niemals gedacht: dass der Heiland ausgerechnet in einem Stall zu finden ist!“
„Na klar: wir hätten uns auch was anderes gewünscht“, erklärte ich. „Aber hier sind wir. Hier ist unser Sohn – und jetzt freue ich mich einfach, selbst hier im Stall!“
„Und ich erst!“, gähnte Maria, rieb sich die Augen und nahm Jesus aus der Krippe auf ihren Schoß. Auch er öffnete jetzt die Augen.
„Seid Ihr etwa alle gekommen, um euch mit uns zu freuen?“
„Na klar – so was Wunderbares wie diese Nacht, das erleben doch wir niemals wieder!“
„Dann nehmt diese Freude mit in euren Alltag!“, schlug Maria vor. „Behaltet sie, auch wenn es mal freudlos zugeht!“
„Und gebt sie weiter,“ ergänzte ich: „Dann gibt es bestimmt noch viel mehr Grund zur Freude!“